top of page
Search

Horst Steffen & Werder - Wie kann das aussehen?

1.Wer ist Horst Steffen?


Werders neuer Übungsleiter wurde am 03.03. 1969 in Meerbusch in Nordrhein-Westfalen geboren. Als fleißiger und verbissener defensiver Mittelfeldspieler machte Steffen in den 90ern und frühen 2000ern die Bundesliga bei Uerdingen, Gladbach und Duisburg unsicher und kommt insgesamt auf 207 Erstliga- und 75 Zweitligaspiele als aktiver Spieler. Aus der angesprochenen Verbissenheit schloss er auch Rückschlüsse für seine Philosophie und Haltung als Trainer - hierzu später mehr.

Nach der aktiven Laufbahn entschloss sich Steffen bereits 2003 die Trainerkarriere einzuschlagen. Über Kappelen-Erft und die Jugendmannschaften von Duisburg und Gladbach ging es zu den Stuttgarter Kickers. Hier wurde er nach zwei erfolgreichen Jahren, in denen er den offensiven Spielstil andeutete, den erst später in Elversberg perfektionieren sollte, wegen einer Negativserie entlassen. Es folgten zwei kurze und recht erfolglose Stationen bei Chemnitz und Preußen Münster und die Arbeitslosigkeit. Ende 2018 folgte dann der Anruf aus Elversberg. Hier nutze Steffen die Chance, die ihm geboten wurde: Nach einiger Anlaufszeit stieg der Verein 21/22 in die Dritte Liga auf. In der darauffolgenden Saison gelang der direkt Durchmarsch in die Zweite Liga. Anschließend der souveräne Klassenerhalt in der zweiten Liga auf Platz 11 in der Saison 23/24 und zuletzt die sensationelle Bundesliga-Relegation, die jetzt gerade eine knappe Woche her ist. Nach dem verpassten Aufstieg entschied sich Steffen als Spätstarter mit 56 noch einmal in die Bundesliga zu wechseln - zu Werder. Eine rasante Zeit für den Fußballlehrer - doch was zeichnet ihn eigentlich aus?


2.Steffens Taktik


Steffen ist Verfechter eines rigorosen und furchtlosen Offensivfußballs. Das Spiel seiner Mannschaften mit dem Ball ist geprägt von schnellem Kurzpasspiel, Kreativität und dem Mut auch in den Gegnerdruck zu spielen.

Häufig ist die Grundformation von Steffens Team auf dem Papier in einem 4-2-3-1, 4-2-2-2 oder 4-3-2-1 angeordnet. Bei eigenem Spielaufbau sieht man sehr häufig, dass beide Außenverteidiger aus der Viererkette nach vorn schieben und die bzw. der Stürmer sich auf Höhe der Offensiven Flügel- oder Halbraumspieler fallen lassen. Dadurch entsteht ein 2-4-4 im Aufbau. Hierbei sind die beiden Sechser oft sehr nah an den Innenverteidigern, um Anspielstationen und Entlastungen für den Spielaufbau zu bieten. Nicht selten agiert man auch mit einer Torwartkette. Der Torwart schiebt also zwischen die Innenverteidiger, um das Aufbauspiel zu unterstützen. Ein Mittel, dass Werders Fans nur zu vertraut ist. Häufig geht der Ball aus der letzten Kette bereits linienbrechend ins Mittelfeld oder in die offensive Viererkette. Der Rest der Mannschaft rückt nach und bietet weitere Passoptionen an.

Dieses System ist aber alles andere als starr. Stets bewegen sich Spieler von ihren angestammten Positionen, überlagern Zonen, um Mitspieler zu isolieren und dann auf den freien Mann zu verlagern. Asymmetrie und Bewegungen ohne Ball sind ein wichtiger Bestandteil des Spiels. Stürmer kommen häufig für "Steil-Klatsch"-Spiel entgegen, um den Ball dann wieder auf die Mitspieler prallen zu lassen und das Passspiel und die Rotation laufen zu halten. Prinzipien, die so auch unter Ole Werner praktiziert wurden.

Wo sich Steffens und Werners Spielweise stark unterscheiden ist das Flügel- und Flankenspiel. Während Werder in der Saison 24/25 in der Bundesliga noch insgesamt 328 Flanken aus dem Spiel schlug (Rang 8 im Ligavergleich), schlug Steffens Elversberg in der zweiten Bundesliga nur 269 Flanken aus dem Spiel (Rang 16 im Ligavergleich). Während bei Ole Werner Flügelspiel häufig ein probates Mittel im letzten Drittel des Feldes war, sind Steffens Mannschaften dort weniger dogmatisch. Hier steht Freiheit und individuelle Lösungsfindung als Prinzip an erster Stelle. Häufig wird sich im Zentrum unter Druck in den Strafraum kombiniert oder ein Pass hinter die letzte Kette gespielt. Bei Durchbrüchen über die Außen gibt es zumeist flacher Hereingaben anstatt hoher Flankenbälle.

Auch wenn sich Steffens Fußball im ersten Moment anhört, als würde man sich in der Bundesliga auch mal eine blutige Nase holen, wenn man gegen Mannschaften mit hoher individueller Qualität antritt, so war doch das wahre Prunkstück der letzten Saison die beeindruckende Balance zwischen Defensive und Offensive. Elversberg schoß in der Saison 24/25 die zweitmeisten Tore der zweiten Bundesliga (64, geteilter zweiter Platz mit Magdeburg) und kassierte dabei die zweitwenigsten Gegentore (37). Grundlage für diese stabile Defensive ist ein sehr engagiertes Gegenpressing und Aktivität ohne Ball. Stets sind viele Akteure in Ballnähe, versuchen den Gegner auf die außen zu lenken und dort Zugriff zum Ball zu gewinnen.

Das große Stichwort mit und ohne Ball ist also Aktivität - man wird unter Steffen nicht sehen, dass sich Werder in der eigenen Hälfte einigelt und auf Konter lauert. Wie das in der Bundesliga funktioniert, wird spannend sein. Zugutehalten kann man Steffen hier, dass die Mannschaft, die er bei Elversberg trainierte im Ligaschnitt sicher auch nicht die drittbesten Individualisten hatten, sondern auf dem Papier mit Ausnahme der Leihspieler eher nach einer Truppe im unteren Mittelfeld der zweiten Bundesliga aussieht, was sich auch in den Marktwerten (Rang 12) und im Personalaufwand* (Rang 16) der Elversberger niederschlägt.

Ein kurzer Punkt, den ich bei Steffen gerne noch aufgreifen will, ist seine Haltung gegenüber dem Profifußball. Er sagte über sich selbst, dass er ein sehr verbissener Spieler war, der auch eigene Verletzungen in Kauf genommen hat, um den Erfolg zu garantieren. Als Trainer hat er dies reflektiert und versucht nun seinen Spielern diese Verbissenheit und Ängste durch Kommunikation und Offenheit zu nehmen. Dabei gibt ihm der Erfolg in der Spielerentwicklung Recht. Gerade junge Spieler scheinen sehr empfänglich für seine Kommunikationsstrategie.


3.Wie könnte das System bei Werder aussehen und welche Spieler können profitieren?


Der offensichtliche systematische Unterschied von Werner zu Steffen ist die Viererkette. Hier bleibt abzuwarten, inwieweit Steffen diese Systematik in der Sommervorbereitung implementieren kann.

Die Innenverteidiger sind essenziell im Spielaufbau, spielen linienbrechende Pässe und dribbeln auch mal an. Hier sehe ich aus dem aktuellen Kader Marco Friedl und Amos Pieper als natürliche Fits. Beide haben meiner Einschätzung nach die notwendigen Fähigkeiten im progressiven Passpiel und trauen sich auch den Ball nach vorn zu tragen. Speziell Pieper könnte von Steffens Ansatz profitieren. Julian Malatini traue ich mit seinem mutigen Spiel und seinem Tempo auch einen Schritt unter Steffen zu. Bei Niklas Stark tue ich mich allerdings mit der Einschätzung momentan noch etwas schwer, da ich seine Rolle in der Dreierkette bei Werner für ihn ziemlich ideal empfunden habe. Erwähnenswert sind hier auch noch die U19-Innenverteidiger Mick Schmettgens und Karim Coulibaly. Beide haben sich in der vergangenen Saison hervorragend entwickelt. Gerade bei Coulibaly sieht man häufig das Andribbeln und die risikoreichen, linienbrechenden Flachpässe durch das Zentrum, die ein wichtiger Teil vom Spiel der Innenverteidiger in Steffens System sind. Ich würde nicht ausschließen, dass Werder hier noch einmal einen schnellen und passsicheren Verteidiger verpflichtet.

Auch auf der Außenverteidiger-Position muss man meiner Einschätzung nach noch einmal nachlegen. Während Felix Agu wie gemalt für einen Außenverteidiger in Steffens System ist - schnell, fleißig, defensiv solide und mit offensivem Impact - sehe ich bei Derrick Köhn weniger Passung als Außenverteidiger in einer Viererkette, falls wir ihn überhaupt weiter verpflichten sollten, wovon ich momentan nicht ausgehen würde. Gleiches gilt für Mitchell Weiser, den man aber mit dieser Systematik von defensiven Aufgaben entlasten kann und der sich als rechter Mittelfeldspieler komplett im Offensiven Kombinationsspiel und Gegenpressing austoben kann. Generell hat man auf den defensiven Außenpositionen aber noch Nachholbedarf - hier braucht es mindestens einen Gegenpart zu Felix Agu (je nachdem ob er nun Links oder Rechts spielt) und noch mindestens einen Backup. Für meine Startaufstellung mit dem aktuellen Kader habe ich hier einmal Olivier Deman gewählt, der für die Rolle in der Viererkette sicher besser geeignet ist als beispielsweise Derrick Köhn. Ich gehe hier aber von einer Neuverpflichtung aus. Ein früher Hot Take für die rechte Außenverteidiger-Position ist Luca Höcker aus der U19, der mir in den Spielen der letzten Saison vor allem durch seine unglaubliche Ausdauer und Laufbereitschaft aufgefallen ist.

Auf den beiden defensiven Mittelfeldpositionen gibt es für mich keine Fragen: Lynen und Stage passen perfekt zu Steffens Spiel. Häufig bleibt hier ein Sechser zur Absicherung hinten und einer rückt vor und schaltet sich in das Offensivspiel ein und geht auch mit in den Strafraum - an welches Mittelfeldduo erinnert euch das? Richtig - Lynen und Stage. Falls Stage geht, müsste man hier natürlich nochmal nachlegen. Je nachdem, was mit Skelly und Leo passiert braucht es hier auch Ersatz. Ein physisch starker Stage-Backup wäre unabhängig von Abgängen wünschenswert. Gegebenenfalls versucht man hier aber auch Wesley Adeh - den U19-Kapitän der letzten Saison - hinter Stage und Bittencourt aufzubauen. Der ist derselbe Spielertyp wie Stage: physisch sehr stark, sehr groß, Durchsetzungsfähig in der Luft und am Boden und mit Offensivdrang und guter Technik. Für Dikeni Salifou bietet der Trainerwechsel nach seiner zumindest individuell erfolgreichen Leihe zu Klagenfurt nochmal eine Gelegenheit sich zu beweisen, hier rechne ich aber mit einem fixen Abgang.

Im offensiven Mittelfeld ist die Gretchenfrage, ob Romano Schmid wechselt. Wenn er gehen sollte, braucht es mindestens einen Ersatz, wahrscheinlich eher zwei Spieler, denen man diese Rolle zutraut. Eine andere Option wäre ein mitspielender Stürmer wie der hoch gehandelte Fissnik Asllani, der dann als hängende Spitze um den eigentlichen Stürmer agieren könnte. Personalien, die hier relevant wären könnten, sind Isak Hansen-Aroen und Patrice Covic, die sicher beide in der Vorbereitung eine Chance bekommen werden sich zu beweisen.

Auf den offensiven Außenbahnen muss Mitchell Weiser meiner Meinung nach die rechte Position bekleiden. Seine spielerische Klasse, die Fähigkeiten im Zentrum zu Kombinationen beizutragen und selbst in gefährliche Abschlusspositionen zu kommen passt ideal zu Steffens Spielweise im letzten Drittel.

Die andere Seite ist für mich weitaus offener: Grüll, Njinmah und Opitz sehe ich hier als geeignete Kandidaten. Marco Grüll hat sich genau auf dieser Position bei Rapid für einen Wechsel in die Bundesliga empfohlen. Justin Njinmah hat schon nachgewiesen, dass er ein dribbelstarker Flügelspieler sein kann. Leon Opitz ist meine Wildcard und mein viel zu früher Tipp für den Breakout Star der nächsten Werder Saison: Wer meinen Bluesky-Account verfolgt weiß, dass ich der Lokführer im Leon Opitz-Hypetrain bin. Der Junge hat einfach alles, was diese Position benötigt: spielerische Stärke auf den Außen und im Zentrum, Torgefahr, Qualität in den Pässen und Tempo. Ich kann mir gut vorstellen, dass er nicht verliehen wird, sondern die Chance unter Steffen bekommt und nutzt.

Im Sturm hängt einiges von der Personalie Marvin Ducksch ab. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Ducksch unter Steffen glücklich wird, da von jedem einzelnen Akteur sehr hohe Laufarbeit und körperliche Leidensbereitschaft gegen den Ball gefordert wird. Keke Topp hingegen kann ich mir mit seiner Physis, seiner Einsatzbereitschaft und seinen spielerischen Ansätzen als Gewinner unter Steffen vorstellen. Ich denke David Kownacki wird Werder noch verlassen. Einen Wechsel zur Fortuna halte ich weiterhin für wahrscheinlich. Auch hier gibt es dann wahrscheinlich Bedarf für externe Zugänge.

Die letzte übrige Position ist zwischen den Pfosten. Hier bin ich sehr zwiegespalten. Auf der einen Seite denke ich, dass es wichtig wäre, Mio Backhaus zu integrieren, um dieses Talent nicht zu verlieren. Allerdings habe ich bisher sehr wenig von ihm gesehen und kann nicht einschätzen, wie gut er mit dem Fuß ist. Das ist bei Zetti natürlich ganz anders: Sein Skillset mit Ball am Fuß passt natürlich perfekt zum Aufbauspiel bei Steffen. Alles, was er im Spielaufbau von einem Torhüter fordert, bringt Michael Zetterer mit. Er hat bewiesen, dass er in der Lage ist auch flache Pässe präzise ins Mittelfeld zu spielen und sich aus Pressingsituationen spielerisch und ruhig zu lösen. Eventuell wird Steffen diese Entscheidung aber auch durch einen Transfer abgenommen.

Insgesamt denke ich, dass die Grundpfeiler einer Mannschaft, die Steffens Fußball umsetzen kann, bereits im Kader vorhanden sind. Die sportliche Führung muss diesen aber dennoch in einigen Bereichen (Außenverteidiger, Sturm, Offensives Mittelfeld) gezielt verstärken und in anderen für mehr Breite sorgen (Defensives Mittelfeld, Innenverteidigung). Entscheidend wird auch, wie schmerzhafte Abgänge aufgefangen werden können. Es wird ein spannender Sommer


Mögliche Aufstellung unter Steffen mit dem aktuellen Kader
Mögliche Aufstellung unter Steffen mit dem aktuellen Kader

*Personalaufwand ist bei Elversberg natürlich irreführend, da hier sicher weniger Personal außerhalb der Mannschaft da ist als bei den meisten anderen Zweitligisten, wie viel davon genau für die eigentliche Mannschaft verwendet wird, ist leider nicht bekannt


Quellen:


 
 
 

Comments


bottom of page